In Westeuropa werden zum ersten Mal Sinti und Roma erwähnt in einem Dokument aus Hildesheim aus dem Jahre 1407. Seit der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts werden sie in Westeuropa diskriminiert und verfolgt, obwohl es auch Gegenden und Zeiten gibt, in denen sie in Ruhe gelassen werden.

Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts kommt in der Biologie ein pseudowissenschaftlicher Rassismus auf, in welchem Menschengruppen angeborene Unterschiede in Art, Intelligenz und Würde zugeschrieben werden. Anhängern dieser ‘Rassenlehre’, die Menschen mit einer dunklen Hautfarbe, Juden, Sinti und Roma, als minderwertig abstempelt, gelingt es, viele Menschen von ihrer Theorie zu überzeugen. Die Nazis machen aus dem Unterschied zwischen Herrenmenschen und Untermenschen eine Staatsdoktrin.

1899 wird in Deutschland mit dem systematischen Erfassen von Sinti und Roma begonnen. Hierzu wird der Nachrichtendienst in Bezug auf die Zigeuner gegründet. Dieser Informationsdienst hat 1925 die Daten von gut 14.000 Personen gesammelt. Auch werden in Deutschland, bis die Nazis an die Macht kamen, bereits circa 150 Verordnungen erlassen, die die Freiheit von Sinti und Roma einengen, sie alle zu potentiellen Kriminellen abstempeln und es leichter machen, sie zu bestrafen.

So bald die Nationalsozialisten an die Macht kommen, wird die Verfolgung von Sinti und Roma stark intensiviert. Schon im Jahr 1933 werden Sinti und Roma sofort in Konzentrationslager eingesperrt. Auch startet eine Propagandakampagne, um die Bevölkerung zu indoktrinieren, damit diese die Verfolgungsmaßnahmen akzeptiert und diejenigen, die sie ausführen müssen, das ohne Protest tun.

Rassengesetze und Sterilisation
Am 15. September 1935 werden die Nürnberger Rassengesetze eingeführt. Zunächst für Juden, aber auf Befehl des Reichsministers des Innern, Wilhelm Frick, gelten sie ab Januar 1936 auch für Sinti und Roma. Auch werden sie, genau wie Juden und Homosexuelle, unter ein im Juli 1933 eingeführtes Sterilisationsgesetz fallen, das es ermöglicht, geistig Behinderte und Personen mit Erbkrankheiten zwangsweise unfruchtbar zu machen. Ziel ist es, dass sie aussterben. Tausende von Sinti- und Roma-Männern und -Frauen werden zwangssterilisiert.*

Im Jahr 1936 wird in Berlin die Rassenhygienische Forschungsstelle gegründet. Dieses Forschungszentrum kommt schon bald unter die Leitung von Dr. Robert Ritter, einem Rassentheoretiker, der schon jahrelang über Sinti und Roma geforscht hatte. Das Forschungszentrum versucht mit Stammbäumen, Fingerabdrücken, aber vor allem durch Fotos von Personen und durch Vermessung von Kopf bis Fuß, den biologischen Rassismus wissenschaftlich zu untermauern.** Mitarbeiter des Instituts setzen ihre Forschung bis in die Konzentrationslager fort. In Zusammenarbeit mit dem Reichssicherheitshauptamt erstellen Ritter und seine Mitarbeiter detaillierte Stammbäume von nahezu 24.000 deutschen Sinti und Roma. Diese Information soll genutzt werden für die Planung und Ausführung des Genozids.

Im Jahr 1936 wird ebenfalls begonnen mit der Umbildung des Nachrichtendienstes in Bezug auf die Zigeuner in die Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerwesens. Auf Druck von Nazi-Deutschland wird außerdem in Wien eine Internationale Zentralstelle zur Bekämpfung des Zigeunerwesens gegründet, die Unterstützung von anderen Ländern bekommt (u.a. auch von den Niederlanden).

Örtliche Konzentrationslager
Inzwischen ist in Deutschland die Verfolgung in vollem Gange. In vielen deutschen Städten und Gemeinden werden örtliche Konzentrationslager für Sinti und Roma eingerichtet, wo komplette Familien ohne irgendeinen Rechtsgrund eingesperrt werden. Die dortigen Sanitäranlagen sind völlig unzureichend, was viele Kranke und Tote zur Folge hat. Die Wachmänner (SS oder Polizei) machen sich zahlloser Misshandlungen schuldig. Anfangs dürfen Erwachsene die Lager tagsüber noch verlassen, um zu ihrer Arbeit zu gehen; später müssen sie, aber auch Kranke und Kinder, Zwangsarbeit leisten.

Im Juli 1936, am Vorabend der Olympischen Spiele in Berlin, werden nahezu alle über tausend Sinti und Roma aus der deutschen Hauptstadt festgenommen und in ein Internierungslager in der Berliner Vorstadt Marzahn eingesperrt. Das Lager ist nicht mehr als ein offenes Feld, das eingeklemmt zwischen einem Abwasserkanal, einem Friedhof und Bahngleisen liegt. Einige dutzend Männer aus Marzahn werden in Arbeitslager geschickt. Während des Krieges werden Männer aus Marzahn gezwungen, ‘Blindgänger’ (nicht-explodierte Bomben) zu räumen. 1943 werden fast alle Gefangenen aus Marzahn nach Auschwitz-Birkenau deportiert. In Marzahn erleben nur circa 25 Personen die Befreiung.

Ab Juni 1938 werden immer mehr deutsche Sinti und Roma in Lager eingesperrt, und die örtlichen Lager werden oft als Zwischenstation auf dem Weg zu den großen Konzentrationslagern genutzt. Dort werden viele sterilisiert oder schauderhaften Experimenten unterworfen, auch schon längere Zeit vor dem Krieg. Während des Krieges werden die örtlichen Lager auch genutzt bei den Deportationen in die Vernichtungslager.

Die großangelegten Deportationen von Sinti und Roma in die Lager und Ghettos in Polen beginnen im April 1940. In Polen werden auch Kinder und alte Leute beim Straßenbau und in Steingruben und Waffenfabriken eingesetzt, bis sie völlig erschöpft sind. Wer nicht mehr arbeiten kann, wird erschossen. Manchen Gefangenen gelingt die Flucht, sie werden aber meistens wieder festgenommen. Einige tauchen mit Erfolg unter.

Im Jahr 1942 beginnen die Deportationen in die Vernichtungslager und die Massenerschießungen durch die SS.

Von den circa 24.000 Sinti und Roma aus Deutschland wurde circa zwei Drittel ermordet.

* Unter der Naziherrschaft wurden nach Schätzung insgesamt 400.000 Menschen in Europa zwangsweise unfruchtbar gemacht.
** Die Nazis hatten mit einem ideologischen Problem zu kämpfen: Sinti und Roma sind ‘Arier’. Die Forschung musste nachweisen, dass sie dennoch Untermenschen waren.