Um 1900 beginnt der niederländische Staat, Sinti und Roma in zunehmendem Maße als ein gesellschaftliches Problem zu sehen. Die Sinti und Roma entziehen sich der staatlichen Kontrolle, und man betrachtet einen Teil ihrer Tätigkeiten als eine verkappte Bettelei. Maßnahmen, um ihre Anwesenheit zurückzudrängen, erzielen keinen oder sogar einen gegenteiligen Effekt.

So führt ein Gesetz aus dem Jahre 1918, das Anforderungen an Wohnwagen und ihre Bewohner stellt, in zwanzig Jahren zu einer Verfünffachung der Anzahl Wohnwagen (übrigens bei weitem nicht alle von Sinti und Roma), da eine frühere Gesetzgebung dadurch wegfällt, wie auch die Zuständigkeit der Gemeinden, keine Wohnwagen zuzulassen.

Registrierung
Ende 1937 wird die Niederländische Zigeunerzentrale gegründet. Diese sammelt möglichst viele Daten über Sinti und Roma, die sich in den Niederlanden aufhalten. Die Niederlande machen dies auf Ersuchen der Internationalen Zentralstelle zur Bekämpfung des Zigeunerwesens in Wien, die auf Ersuchen von Nazi-Deutschland gegründet wurde. Die Daten, die diese Zentralstelle bekommt, in beschränktem Maße auch aus den Niederlanden, werden später gebraucht für die Verfolgung und Vernichtung der Sinti und Roma.

Als die Besatzung der Niederlande ein Faktum ist, denken sich niederländische Behörden weitere Maßnahmen gegen die Sinti und Roma aus, aber immer noch ohne Ergebnis. Im Januar 1943 beginnt der deutsche Polizeichef in den Niederlanden, Rauter, sich in die Sache einzumischen. Im Juli 1943 wird es verboten, mit Wohnwagen zu reisen, und werden Vorbereitungen getroffen, um 27 große Sammellager einzurichten. Für viele Sinti und Roma ist es das Signal um unterzutauchen. Schließlich landet nur ein Drittel der fast 1.200 Wohnwagen in den Sammellagern.

Razzia
Am 29. März 1943 hatte das Reichssicherheitshauptamt* schon die Deportation der circa 500 Sinti und Roma aus den Niederlanden und die der circa 600 aus Belgien nach Auschwitz angeordnet. Eine begrenzte Zahl von Personen wurde damals festgenommen. Am 14. Mai 1944 wird ein neuer Befehl erteilt, jetzt vom Leiter der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes. Niederländische Polizeikorps erhalten ein Telegramm mit dem Auftrag zur “Festnahme aller, der sich in den Niederlanden aufhaltenden Personen, die das Merkmal der Zigeuner besitzen”.

Zwei Tage später findet eine Razzia statt. Einer Anzahl von Sinti und Roma gelingt es, rechtzeitig zu flüchten und unterzutauchen (manche wurden von niederländischen Polizisten gewarnt), aber 578 Personen werden festgenommen und zum Lager Westerbork verbracht. Dort wird deutlich, dass die niederländische Polizei den Begriff ‘Zigeuner’ zu breit aufgefasst hat. Es stellt sich heraus, dass 279 Personen zwar Wohnwagenbewohner, jedoch keine Sinti oder Roma sind. Sie werden wieder freigelassen, genau so wie 54 Sinti und Roma mit einem Reisepass von einem neutralen Staat oder von Deutschlands Verbündetem Italien. 245 Sinti und Roma werden am 19. Mai 1944 von Westerbork aus nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Von diesem Transport überleben dreißig Personen.

Insgesamt wurde mehr als die Hälfte der niederländischen Sinti und Roma ermordet.

* Das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) war die Dachorganisation der Sicherheitsdienste im Dritten Reich, im Dezember 1939 von Heinrich Himmler gegründet. Es war eine Arbeitsgemeinschaft von Sicherheitsdienst, Gestapo und Kriminalpolizei.